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Green Buildings und der Smart City gehören die Zukunft

Verdichtung, Green Buildings, Stadtklima, Smart City und Solarpanels an den Fassaden: Im Interview blickt Katrin Gügler als Direktorin des Amts für Städtebau Zürich in die Zukunft und verrät, welches die grossen Herausforderungen der kommenden Jahre sind.

powernewz: Katrin Gügler, wir spüren es täglich rund um uns: Die Stadt ist im Umbruch, es wird viel gebaut, neue Quartiere wie Greencity entstehen. Welches sind derzeit ihre wichtigsten Projekte?

Katrin Gügler: Am wichtigsten ist aktuell die Sicherung der Flächen für Infrastrukturen, aber auch für Grün- und Freiräume. Je mehr Leute in Zürich leben und arbeiten, desto mehr Infrastrukturen benötigen wir und umso knapper wird der Platz. Zürich hat praktisch keine leeren Flächen mehr. Die Manegg mit der Greencity war eines der letzten Industrieareale, aus dem man ein neues Quartier schaffen konnte. Die Menschen wollen in den Städten leben, der Druck auf Zürich ist gross. Stadtentwicklung heisst für uns deshalb je länger je mehr auch Innenverdichtung.

Also in die Höhe bauen?

In die Höhe bauen, aber auch Räume mehrfach nutzen und stapeln. Stapeln bedeutet, dass man mehrere Nutzungen im gleichen Gebäude und somit auf der gleichen Grundstücksfläche kombiniert. Beispiele dafür wären das Schulhaus Allmend in der Greencity, bei welchem der Sportplatz auf dem Dach des Hauses zu stehen kommt, oder die Siedlung Kalkbreite: Im gleichen Gebäude sind Tramdepot, Kino, Läden, ein Bistro, Wohnungen und Freiräume untergebracht.

Passanten gehen an einem Bioladen vorbei und betrachten die Waren.
Die Wohn- und Gewerbesiedlung Kalkbreite vereint vielseitige Nutzungen an einem Ort.
Ansicht der Stadt mit Blick aus Zürich West.
Blick über die Dächer von Zürich.

Wichtige Themen sind auch die Gentrifizierung und dass das Wohnen in der Stadt für viele unerschwinglich wird? Was wird dagegen unternommen?

Es stellt sich tatsächlich die Frage, wer sich die Stadt leisten kann. Erkenntnisse zeigen, dass nur eine gut durchmischte Stadt eine stabile Stadt ist. Wir brauchen deshalb Instrumente, um diese Durchmischung auch zu gewährleisten. 

Mittels preisgünstigen Wohnraums.

Genau. In der Gemeindeordnung sind dazu verschiedene Aufträge verankert. So wird beispielsweise ein gemeinnütziger Anteil von einem Drittel aller Wohnungen auf dem Stadtgebiet angestrebt. Ende 2015 betrug der Anteil 26.8 Prozent, die nächste Erhebung erfolgt Ende Jahr. Ebenfalls relevant ist das Mehrwertausgleichsgesetz. Es besagt, dass ein Teil der Gewinne, die durch Aufzonungen sowie bei erhöhten Ausnützungen erzielt werden, an die Allgemeinheit zurückfliessen soll. Denn diese muss für die Infrastrukturen wie Strassen und Schulen aufkommen. Ein weiterer geplanter Gesetzesartikel würde uns die Möglichkeit geben, von privaten Grundeigentümerschaften einen Anteil an gemeinnützigem Wohnen einzufordern. Bis Sommer 2019 erarbeiten wir dafür die Grundlagen, die später vom Gemeinderat verabschiedet werden. 

Bedeutet dies nicht einen Eingriff ins private Eigentum?

Es gab schon immer Vorgaben, wie sich Grundeigentümerschaften im Gesamtgefüge der Stadt zu verhalten haben. Man darf zum Beispiel nicht beliebig hoch oder nahe ans Grundstück des Nachbarn bauen. Man muss Regeln im Bereich der Energie und zukünftig eben auch im Bereich des Wohnungsangebots beachten. Solche Bestimmungen kommen vom Gemeinderat, der von der Bevölkerung gewählt wird. Es handelt sich also letztlich um einen Auftrag des Volks. 

Katrin Gügler steht auf dem Balkon. Im Hintergrund ein Gebäude.
Katrin Gügler ist diplomierte Architektin ETH/SIA. Sie hat bei Morger & Degelo in Basel sowie Burkard, Meyer, Steiger und Partner in Baden gearbeitet. Katrin Gügler führte ihr eigenes Architekturbüro gemeinsam mit Regula Stahl in Zürich und Basel und war Assistentin an der ETH Zürich und Diplomexpertin an der Fachhochschule Nordwestschweiz. Von 2007 bis 2016 war sie Mitglied der Geschäftsleitung im Amt für Städtebau Winterthur. Seit April 2017 ist Katrin Gügler Direktorin des Amts für Städtebau der Stadt Zürich. Sie ist verheiratet und Mutter von zwei erwachsenen Söhnen. Katrin Gügler rudert gerne und intensiv auf dem Zürichsee, in der Stadt ist sie mit einem gemütlichen dänischen Velo unterwegs.

Klimaerwärmung und der Umweltschutz sind derzeit weitere grosse Themen. Wie sehr fliessen sie in die Planung mit ein?

Die 2000-Watt-Gesellschaft ist für uns ein wichtiges Stichwort. Dabei betrachten wir nicht nur den Energieverbrauch in Bezug auf Bauten, sondern auch auf die Mobilität, die stark von der Stadtplanung abhängt: Wo dichter gebaut werden soll, muss auch die Erschliessung mit dem öffentlichen Verkehr gut sein. Ein weiterer wichtiger Aspekt betrifft das Stadtklima.

Um was geht es dabei und inwiefern beeinflusst es die Energiebilanz?

Ohne ein günstiges Stadtklima bringen wir die Erhitzung des Zentrums kaum mehr weg. Bei unserer Planung beziehen wir deshalb die geografische Lage von Zürich mit ein – mit den Hügeln, dem Seebecken und den dadurch entstehenden Fallwinden, welche die Stadt belüften und mit Kaltluft gegen die Hitze versorgen. Im Bereich des sommerlichen Wärmeschutzes befassen wir uns aber auch mit Bäumen, dem Wasser und der Fassadenbegrünung. 

Sie sprechen damit sogenannte Green Buildings an – Gebäude, die vertikalen Gärten gleichen. Gibt es konkrete Vorhaben dazu?

Im Moment befinden wir uns zusammen mit Grün Stadt Zürich und dem Amt für Hochbauten noch im Forschungsbereich. Welche Möglichkeiten haben wir zur Planung und zum Bau von Green Buildings? Wie sehen die Bewässerungssysteme aus? Wie könnte ein «Bosco Verticale» [vertikaler Wald, Anm. d. Red.] funktionieren? Dies sind technisch anspruchsvolle Herausforderungen. Die bisherige, klassische Variante dazu ist die Rebe, die ein Haus einwächst und ein Mikroklima mit Beschattung und angenehmem Gebäudeklima schafft. Beispiele finden sich in Hottingen, der Enge und in Wipkingen. 

Wir verbrauchen immer mehr Strom, die Diskussionen drehen sich verstärkt um Stromimport, Atomstrom, erneuerbare Energien und mehr. Gibt es dazu konkrete Ideen für die Stadt Zürich?

Durchaus, beispielsweise im Bereich der Solarenergie. Hier gewinnen neben den Dächern zunehmend auch die Fassaden an Bedeutung. Wir fragen uns beispielsweise, wie man Photovoltaik-Fassaden ansprechend gestalten könnte. Hier sind auch die Architektinnen und Architekten gefragt, die wir zu innovativen Lösungen anregen möchten. 

Die Siedlung Triemli in Albisrieden vereint verdichtetes Bauen mit einem attraktiven Stadtgarten.
Die Siedlung Triemli in Albisrieden vereint verdichtetes Bauen mit einem attraktiven Stadtgarten.
Ein älteres Haus, dessen Fassade von Reben überwachsen ist.
Eine intelligente Nutzung von Fassaden gewinnt zur Erreichung der 2000-Watt-Ziele immer mehr an Bedeutung.
Ein Gebäude mit einer Solarfassade
Energiezentrale von ewz in Zürich Altstetten

Welche Entwicklungen finden Sie persönlich aktuell am spannendsten? 

Stadtklima und grüne Städte faszinieren mich. Ich war kürzlich in Singapur. Dort sind in den letzten Jahren Gebäude entstanden, die durchmischte Nutzungen mit Wohnungen, eine kleine Tagesklinik, Foodmarkets und öffentliche Plazas, aber auch Bäume, Urban Farming und ganze Grünlandschaften aufweisen – alles im gleichen Gebäude, in dem mehrere tausend Leuten wohnen. 

Werden wir solche bald auch in Zürich sehen?

Solche Konzepte und Ideen werden sicherlich auch in Zürich vermehrt ein Thema werden. Wir denken dazu an einen engeren Austausch mit dem Future Cities Laboratory Lab der ETH, das stark in diesen Bereichen forscht. 

«Es ist oftmals ökologischer, das Bestehende in die Zukunft mitzunehmen, als alles abzuräumen und ein Hightech-Gebäude hinzustellen.»

Werden in 50 oder 100 Jahren also alle Häuser Solarzellen an den Fassaden haben, hoch gebaut und grün sein?

Das wäre ein recht spannendes Bild, aber wir brauchen und möchten nicht überall das Gleiche. Es käme nicht gut an, wenn wir unsere Altstadt mit Photovoltaik einpacken und das Grossmünster oben begrünen würden. Die Altstadt ist, was «2000 Watt» betrifft, sowieso schon ziemlich gut aufgestellt.

Inwiefern?

Sie ist sehr kompakt gebaut und enthält viel graue Energie: Die Häuser stehen seit mehreren hundert Jahren, viele seit dem Mittelalter. Und obwohl sie permanenten Transformationsprozessen unterliegen, ist die Grundsubstanz nach wie vor vorhanden. Es ist somit oftmals ökologischer, das Bestehende in die Zukunft mitzunehmen, als alles abzuräumen und ein Hightech-Gebäude hinzustellen.

Wie viele Jahre plant das Amt für Städtebau eigentlich voraus?

Der kommunale Richtplan geht etwa 20 Jahre in die Zukunft. Unsere Prozesse sind relativ träge. Wir können nicht heute etwas entscheiden und morgen steht es da. Insofern ist diese langfristige Planung sehr wichtig. 

Können Sie kurz erklären, was ein kommunaler Richtplan ist?

Der kommunale Richtplan gibt die Richtlinien zur städtischen Entwicklung vor. Wie dicht soll gebaut werden? Wo brauchen wir Freiräume, Schulhäuser oder Werkhöfe? Der Richtplan ist für uns als Planungsgrundlage zentral, da er auch Aussagen zu Energie, zur 2000-Watt-Gesellschaft und zum Stadtklima macht.

Wie exakt ist eine Planung in die Zukunft? 

Wir planen auf Basis von Wachstumsprognosen, welche selbstverständlich eine gewisse Ungenauigkeit aufweisen. Jedoch ist es wesentlich einfacher, ein Projekt zurückzustellen, als kurzfristig eines aufzugleisen. Im Zentrum für Architektur Zürich läuft aktuell die Ausstellung «Nach Zürich», die auf die letzten 100 Jahre zurückschaut. Darin sieht man viele Projekte, die nie umgesetzt wurden – viele davon im Bereich der Mobilität, zum Beispiel die Stadtautobahn oder die Untergrundbahn. Generell ist der Verkehr ein sehr dynamischer Gradmesser für gesellschaftliche Bedürfnisse.

Zum Thema Mobilität wird vermehrt der Begriff Smart City genannt – die Steuerung des Verkehrs durch intelligente technologische Systeme. Ist das Amt für Städtebau bei der Entwicklung involviert?

Die Verantwortung für Smart City liegt bei der Stadtentwicklung, das Amt für Städtebau ist aber an der Entwicklung ebenfalls interessiert und involviert. Neben der Mobilität und dem Verkehr kommen die Smart-City-Bestrebungen der Stadt Zürich auch in vielen weiteren Bereichen zum Tragen, beispielsweise bei der Partizipation in Planungsprojekten, bei administrativen Kontakten mit der Verwaltung oder den digitalen Stadtplänen, welche wir vor Kurzem eingeführt haben. 

Ein digitaler Stadtplan steht auf dem Rathausplatz in Zürich.
Die im Juni 2019 eingeführten digitalen Stadtpläne tragen zu Zürichs Smart-City-Strategien bei.

Haben Sie weitere konkrete Smart-City-Projekte, an denen Sie schon arbeiten?

Teil des AfS ist das Kompetenzzentrum für Geografische Informationssysteme, kurz GIS. Die dort verarbeiteten georeferenzierten Daten sind für unsere Planung zentral. Zusammen mit weiteren Ämtern entwickeln wir aktuell einen digitalen Zwilling der Stadt – eine virtuelle 3D-Sicht inklusive des Untergrunds. Mit diesem Modell können wir verschiedene Varianten der Zukunft prüfen, zum Beispiel hinsichtlich der Veränderung der Dichte und deren Auswirkungen auf das Stadtklima oder den Verkehr und die Mobilität. Weitere Beispiele finden sich beim Dialog mit der Bevölkerung. Mittels der «Züri wie neu»-Plattform oder der Onlineplattform für digitale Einwendungen erhalten wir und die Bevölkerung neue Möglichkeiten zur Kommunikation.

Welches sind aktuell die grössten baulichen Projekte?

Neben anderen ist das Hochschulquartier mit der Universität Zürich, der ETH und dem Universitätsspital eine der aktuell umfangreichsten Planungen. So werden die drei Institutionen an ihrem aktuellen Standort im Stadtzentrum in Zukunft weiter wachsen. Das bedeutet, dass dort in den nächsten dreissig Jahren enorm viel gebaut wird. Dies bedarf einer umfangreichen Planung zusammen mit Stadt und Kanton. In diesem Kontext wird aber beispielsweise auch über ein Untergrund-Shuttle zwischen Hauptbahnhof, Bahnhof Stadelhofen und dem Hochschulgelände nachgedacht. Da passiert im Moment extrem viel.

Amt für Städtebau

Der Aufgabenbereich des Amts für Städtebau (AfS) reicht von der Vergangenheit über die Gegenwart bis in die Zukunft. So ist im AfS neben der städtischen (Unterwasser-)Archäologie und dem baugeschichtlichen Archiv mit seinen umfangreichen historischen Bildbeständen auch die Denkmalpflege angesiedelt. Das AfS begleitet weiter aktuelle städtische und private Planungs- und Bauprojekte in Zusammenhang mit den Vorgaben. Zudem verantwortet es die Richtplanung sowie die Bau- und Zonenordnung, erarbeitet Sondernutzungsplanungen und Quartierplangeschäfte und führt städtebauliche Studien und Wettbewerbe durch. Ebenfalls betreut das AfS die Werbeanlagen auf öffentlichem Grund. 

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