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Anergie: Was ist das und wie nutzt man sie sinnvoll?

Kolumne von christof drexel, 20.10.2022

In der Thermodynamik ist Anergie als jener Anteil der thermischen Energie definiert, der in einem Prozess keine Arbeit verrichten kann. Etwas einfacher kann man es für die Nutzung in unseren Heizungen erklären: Wärme, deren Temperatur für die direkte Verwendung zu niedrig ist.

Stellen Sie sich vor: Draussen herrscht Eiseskälte, aus einem Schachtdeckel dampft 15-grädige Luft. Das ist Wärmeenergie, mit der aber kein Haus beheizt werden kann, zumindest nicht direkt.

Ungenutzte Wärme hat noch einen Nutzen

Was aber nicht heisst, dass wir diese Wärme nicht nutzen können – im Gegenteil: Sie ist sehr wertvoll, wenn die Wärme mit Hilfe von Wärmepumpen auf ein höheres Temperaturniveau gehoben wird. Wärmepumpen benötigen hierzu elektrische Energie, je nach Temperatur der Anergie führt der Input von einer Kilowattstunde (kWh) Strom zu einer nutzbaren Wärme von drei bis fünf kWh. Die restlichen zwei bis vier sind nutzbar gemachte Anergie.

Anergie aus natürlichen Quellen nutzen

Im einfachsten Fall wird Anergie der Umgebung entnommen: etwa in Form von Luft, Erdreich oder Grundwasser (siehe Artikel klimaneutral heizen). Das Temperaturniveau der Aussenluft gibt leider dann am wenigsten her, wenn die meiste Wärme benötigt wird; Erdreich und Grundwasser liefern schon etwas bessere Bedingungen. Auch die Seewassernutzung fällt in diese Kategorie.

Anergie aus bestehenden Geräten/Systemen nutzen

Noch deutlich attraktiver ist es, Abwärmequellen zu nutzen, die für eine direkte Nutzung noch zu kalt sind. Da kommen neben Klimaanlagen eine Reihe von Quellen in Frage, die ganzjährig Wärme liefern: Kühltheken und Tiefkühlhäuser, Rechenzentren, Druckluftsysteme und so fort. Die Temperaturen liegen oft bei 30, 40 °C, was einen sehr effizienten Wärmepumpenbetrieb ermöglicht.

Anergie aus der Industrie nutzen

Richtig viel Anergie steht in Industriebetrieben an, wenn Prozesswärme im Spiel ist. Oft kann ein warmer Teil direkt ausgekoppelt werden (in Wärmenetzen kann man von 70 °C aufwärts alles brauchen); der grössere Teil wird aber in den allermeisten Fällen in Form von Kühlwasser, warmem Abwasser und Abluft abgeführt. Das Potenzial wird zwar zunächst für die Wärmerückgewinnung (Aussenluft, Kaltwasser) genutzt, die hierfür nicht benötigte Energie steht aber in immer noch grosser Menge zur Verfügung.

Anergienetze

Die Nutzung der Anergie erfolgt manchmal in sogenannten Anergienetzen; die daran angeschlossenen Gebäude werden über dezentrale Wärmepumpen sehr effizient beheizt (Beispiel ETH Hönggerberg). Solche Systeme können gesamthaft durchaus attraktiv sein, für eine sinnvolle Umsetzung müssen aber viele Rahmenbedingungen zusammenpassen.

Häufiger werden in Zukunft Gross-Wärmepumpen zum Einsatz kommen: Die Anergie wird zentral genutzt und die erzeugte Wärme in (neue oder bestehende) Wärmenetze eingespeist.

Porträt von Christof Drexel
Buchautor und Referent Christof Drexel ist Experte für Fragen zur Energiezukunft und deren nachhaltige Erreichung

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