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Sieben Fussballfelder für eine bedrohte Moorlandschaft

Blick auf den Turm vom Steg aus. Der Turm spiegelt sich im Wasser.
Moore sind hocheffiziente CO2-Speicher, doch in der Schweiz sind 90 Prozent von ihnen verschwunden. Renaturierungen kommen nur schleppend voran. Dass es auch anders geht, zeigt sich im Fällander Ried am Greifensee.

Wer beim Fällander Ried spaziert, geht mit einem Schritt im Siedlungsgebiet und mit dem nächsten schon im Naturschutzgebiet. Hier die befahrene Landstrasse, Kieswege, welche die Felder der Landwirte voneinander trennen, gestutzte Hecken um bewohnte Grundstücke. Da die urige Moorlandschaft mit den schilfumsäumten Weihern, ein Graureiher am Ufer, der Herbstwind, der das Wasser kräuselt und die Bäume und wilden Büsche wiegt.

Das Fällander Ried ist jüngst um das Gebiet Stocklen gewachsen – renaturiert, auch dank Ökostrom-Kundinnen und -Kunden aus dem naturemade star-Fonds von ewz. Der Fonds finanzierte gut die Hälfte der notwendigen Kosten, dazu später mehr.
Nur ein schmaler Kiesweg zeugt hier noch von früher, als diese 5 Hektar Land zur Nutzung mehr oder weniger stark trockengelegt waren und das Wasser der Moorlandschaft durch Röhren unter der Erde einfach in den Greifensee abfloss.

Heute ist der Weg für Spazierende nicht mehr zugänglich, die unterirdischen Röhren oder Drainagen, wie sie eigentlich heissen, sind verschlossen. Jetzt entsteht aus dem trockenen Land allmählich wieder eine sieben Fussballfelder grosse Ried- und Moorlandschaft und ein Zufluchtsort für unzählige bedrohte Tier- und Pflanzenarten. Ein Zufluchtsort auch für Ruhesuchende.

Ein Informationsschild über das Moorgebiet Fällander Ried.
Nahaufnahme von Blumen auf der Moorwiese.

Im Kampf gegen das Artensterben

Die Riedlandschaft am unteren Greifensee existiert schon lange. Sie gehört zu den Grössten im Kanton Zürich und zu den Flachmooren von nationaler Bedeutung. Man findet sie im Bundesinventar, Objekt 2188, 67,85 Hektar – beziehungsweise seit 2020 73,85 Hektar. Gehegt und gepflegt wird sie von der Greifensee-Stiftung.

Ute Schnabel-Jung ist Geschäftsführerin der Stiftung und leitete das Renaturierungsprojekt. Jetzt steht sie auf der hölzernen Aussichtsplattform am Rande des Schutzgebietes und blickt über die Weiher und die neuen Riedwiesen. «Solche Feuchtgebiete sind schweizweit und in ganz Europa jene Gebiete, wo wir den grössten Artenverlust verzeichnen.» Pflanzen und Tierarten, all die Amphibien- und Reptilienarten seien sehr stark vom Aussterben bedroht. «Indem wir diese Feuchtgebiete erhalten und wieder erschaffen, versuchen wir diesem Artenverlust entgegenzuwirken.»

Die neu angelegten Weiher bieten ein Zuhause für seltene Pflanzenarten und bedrohte Tiere.
Ute Schnabel-Jung steht auf einer Plattform und überblickt das Moor.

Auf den offenen Kiesflächen konnten nach der Renaturierung bereits viele seltene Watvögel beobachtet werden.

Ein Zuhause für besonders bedrohte Tiere

«Mit der Renaturierung des Gebiets Stocklen ist das gesamte Feuchtgebiet auf eine Grösse angewachsen, die besonders schützenswerten Tierarten ein Zuhause bieten kann», sagt Ute Schnabel-Jung. Laub- und Grasfrosch, Gelbbauchunke, Ringelnatter oder Kamm- und Bergmolch sollen sich hier wieder einquartieren. Ein Hermelin besucht das Gebiet bereits regelmässig, genauso wie der seltene Eisvogel. Auf den offenen Kiesflächen konnten nach der Renaturierung bereits viele seltene Watvögel beobachtet werden.

Seit 15 Jahren arbeitet Ute Schnabel-Jung für die Stiftung und setzt sich für den Schutz und Erhalt der wertvollen Landschaft rund um den Greifensee ein. Studiert und doktoriert hat sie auf dem Fachgebiet Geografie. «Schon als Kind haben mich Landschaften fasziniert, wie sie entstehen, wie sie sich verändern und warum sie sind, wie sie sind.»

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Warum Moorlandschaften verschwunden sind

Massiv verändert haben sich die Moorlandschaften: 90 Prozent der Moorgebiete sind weitgehend aus dem Schweizer Landschaftsbild verschwunden. Sie wurden vor allem im letzten Jahrhundert zugunsten der intensiven Landwirtschaft trockengelegt. Damals war Naturschutz noch nicht auf dem Radar der Gesellschaft. Heute leben in den verbliebenen Moorlandschaften, die zwei Prozent der Fläche der Schweiz bedecken, 25 Prozent aller bedrohten Tier- und Pflanzenarten.

Erst 1987 wurden Moorlandschaften von nationaler Bedeutung verfassungsmässig unter Schutz gestellt. Das heisst aber nicht, dass trockengelegte Moore auch renaturiert wurden. Viele dieser Flächen haben lediglich den Schutzstatus, sodass sie theoretisch wieder verwässert und renaturiert werden könnten.

Moorlandschaft und Bäume, der Himmel ist wolkig
Im Vordergrund ein Feld, an das der Turm anschliesst. Dahinter Bäume.
Ein Kiesweg trennt das Naturschutzgebiet von der Landwirtschaftszone.

Moore als hocheffiziente CO2-Speicher

Versetzt man Moorlandschaften in ihren ursprünglichen Zustand zurück, kommt das nicht nur der Artenvielfalt zugute, sondern auch dem Klimaschutz. Sie bedecken lediglich drei Prozent der Erdoberfläche, speichern aber rund 30 Prozent des in der Erde gebundenen CO2. Damit sind sie sogar bessere CO2-Speicher als Wälder. Der Grund ist denkbar einfach: Pflanzen, Äste, Blätter und Wurzeln binden organisches Material, welches freigesetzt wird und CO2 bildet, sobald Pflanzen an der Luft verrotten. Der Wasserüberschuss im Moor stoppt diesen Prozess. Totes Pflanzenmaterial sinkt ab und wird konserviert. Auf diese Weise binden Moore Treibhausgase.

Ein Busch hinter einem Zaun.
Auf dem Holzsteg flaniert man mitten durch das Naturschutzgebiet.

Vögel beobachten, ohne die scheuen Tiere zu stören.

Ein Holzsteg umgeben von Büschen, dahinter sichtbar der Turm.
Ausschnitt des Fusses des Turms, der in Schilf eingebettet ist.
Ute Schnabel-Jung steht auf dem Holzsteg vor Schilfpflanzen,

Ein Turm lässt die Silhouette verschwinden

Der Wolkenhimmel zieht über das offene Gelände des Naturschutzgebiets, ein zaghaftes Tröpfeln. Der Aussichtsturm auf der anderen Seite am Rande des Gebiets Stocklen bietet Schutz. Hier blickt Ute Schnabel-Jung über die Weiher, den Greifensee und bis ins Gebirge. Ornithologinnen und Ornithologen sowie interessierte Personen können auf dem Turm Vögel beobachten. Er wurde so konzipiert, dass die Silhouette des Menschen für die Tiere nicht erkennbar ist.

Ein Holzsteg, der von Schilf umgeben ist und zum Aussichtsturm führt.
Ideale Rundumsicht aus 6 Metern Höhe.
Die Wand, die die Plattform des Turms umgibt und als Sichtschutz dient.
Blick auf die Moorlandschaft durch ein Sichtfenster des Turms.

Hightechnaturschutz für die Moorlandschaft

Von hier oben zeigt Ute Schnabel-Jung auf die Weiher. «Bei jenem ganz rechts können wir das Wasser ablassen.» Viele bedrohte Libellenarten wie die Sumpfheidelibelle oder die Glänzende Binsenjungfer nutzen das Wasser für die Eiablage. Später aber braucht der Nachwuchs eine trockene Umgebung. Durch das kontrollierte Ablassen des Wassers, bietet man ihnen eine optimale Umgebung, während die anderen Weiher mit einem konstanteren Wasserstand ideal für seltene heimische Pflanzen sind.

Hightechnaturschutz mit alter Technik: Die Regulation des Weihers läuft über die alte unterirdische Drainage. Der Gebietsbetreuer legt einen Hebel um, sodass das Wasser durch die geöffneten Löcher in der Drainage abläuft. «So lassen sich auf kleinerem Raum viele verschiedene Pflanzen- und Tierarten fördern», sagt Schnabel-Jung.

Es ist nicht die einzige Regulation. Damit das Land nicht verbuscht und verwaldet und die angesiedelten Tiere und Pflanzen ihr neues Zuhause nicht gleich wieder verlieren, wird ein- bis zweimal im Jahr gemäht. Auch den nicht einheimischen Pflanzen, den Neophyten, die sich invasiv ausbreiten und die heimische Flora verdrängen, muss man Einhalt gebieten, indem man sie jätet.

Weitere Revitalisierungsprojekte

Das Preisschild an der Moorlandschaft

Rund CHF 2,2 Millionen hat die Renaturierung der sieben Fussballfelder Moorlandschaft gekostet. Eine Stiftung oder eine Gemeinde wie Fällanden kann solche Kosten nicht alleine stemmen. Genau für solche Vorhaben gibt es den naturemade star-Fonds von ewz. Er hilft schweizweit bei der Finanzierung von Renaturierungsprojekten, in diesem Fall hat er rund die Hälfte übernommen. Erneuerbare Energie – sei es Wasser- oder Windkraft, Solarenergie oder Strom aus Biomasse –, die das Label «naturemade star» trägt, wird besonders umweltschonend produziert und liefert 0,7 Rappen pro Kilowattstunde Strom in den Topf des Fonds.

So kommen jährlich rund CHF 4 Mio. zusammen, mit denen Gemeinden, Stiftungen, aber auch Privatpersonen bei der Finanzierung solcher Projekte unterstützt werden. Für die Renaturierung des Gebiets Stocklen steuerte der Fonds CHF 1,2 Mio. bei.
Knapp CHF 660’000 kamen von der Fachstelle Naturschutz des Kantons Zürich, CHF 150’000 vom Tiefbauamt Kanton Zürich als Ersatzmassnahme und je CHF 100’000 durch die Gemeinde Fällanden sowie eine private Schenkung hinzu.

Viele Renaturierungsprojekte, die ewz finanziell unterstützt, liegen weit verstreut in der Schweiz.

Wichtiges Projekt für die Biodiversität und die Region

Dass der Fonds in diesem Fall einen beträchtlichen Betrag beigesteuert habe, komme daher, dass es ein sehr wichtiges Projekt für die Biodiversität sei, sagt Susanne Haag-Jaggi, Fondsmanagerin bei ewz. «Es ist aber auch ein bedeutendes Projekt für die Region. In diesem Fall hatten wir die tolle Möglichkeit, ein Projekt in direkter Nachbarschaft zu unterstützen», sagt Haag-Jaggi. Dadurch könnten ewz-Kundinnen und -Kunden, die Ökostrom beziehen, das Fällander Ried bei einem kleinen Ausflug besuchen und direkt sehen, was ihr Beitrag bewirke.

Blick durch ein Sichtloch, dahinter zeigt sich viel Grün.
Ein kleiner Teich, der von Schilf und Bäumen umgeben ist.

Dünger in der Luft

Pflanzen wie Lungenenzian, Gnadenkraut oder Sumpforchis, die in der Moorlandschaft wachsen, brauchen einen nährstoffarmen Boden. 20 Jahre hat man deshalb gewartet und gehofft, dass Wind und Wetter den nährstoffgesättigten Boden auswaschen. Doch die Zeit und der Regen haben nicht gereicht.

«Der Boden nimmt aktiv Nährstoffe über die Luft auf», erklärt Schnabel-Jung. In unserer Luft seien heute so viele Nährstoffe, hauptsächlich Stickstoff, dass die Böden pro Jahr so viel davon aufnehmen, wie etwa in den 1960er-Jahren landwirtschaftlich jährlich gedüngt wurde. Deshalb haben letztlich die Bagger 15’400 Tonnen Erde, 900 Lkw-Ladungen, abgetragen. Der grösste Teil davon wurde andernorts wiederverwendet im Garten- und Landschaftsbau oder für landwirtschaftliche Zwecke.

360 Pflanzenarten sind das Ziel

Erst als der Boden rund 30 Zentimeter abgetragen war, kam der charakteristische, ungedüngte Boden einer typischen Moorlandschaft zum Vorschein und man konnte mit dem Anpflanzen beginnen. Für die fünf Hektar Land braucht es sehr viel Saatgut. «Wir haben Samen aus verschiedenen ökologisch intakten Riedflächen gesammelt, um sie hier gedeihen zu lassen», sagt Schnabel-Jung. Verläuft alles wie gewünscht, werden hier in wenigen Jahren gegen 360 verschiedene Pflanzenarten wachsen, viele davon sind auf der Roten Liste der gefährdeten Arten.

Geschafft hat die Greifensee-Stiftung dies bereits am Oberen Greifensee bei Mönchaltorf im Riediker-/Rällikerried. Die Renaturierung fand dort schon 1997 statt und war das erste Projekt der Stiftung. Auch die Regulierung der Weiher hat man dort schon erfolgreich erprobt.

Eine Informationstrommel mit Infos über die Tiere im Moor.
Informationstafeln und -trommeln bringen den Besuchenden die Natur im Fällander Ried näher.
Nahaufnahme von Pflanzen des Moores.
Ein Steg, der zu einem Teich führt und von Schilf umgeben ist.
Ein Informationsschild mit dem Titel "auf den Spuren der letzten Jäger und Sammler".

Spuren aus der Mittelsteinzeit

Ute Schnabel-Jung verlässt den Turm über die Wendeltreppe. Unten auf dem Besuchersteg zeigt sie auf eine spärlich bewachsene Fläche. «Hier durften wir nur etwa zehn Zentimeter des Bodens entfernen, weil darunter archäologische Funde konserviert liegen.» Noch während der Bauarbeiten haben Archäologinnen und Archäologen hier Ausgrabungen vorgenommen. Das Gebiet ist nämlich auch als archäologische Zone definiert. Einiges haben sie geborgen, wie Feuersteine und Knochen aus der späten Mittelsteinzeit, aus der es in der Schweiz nur ganz wenige Funde gibt. Anderes lässt man aus Ressourcen- und Platzgründen in der Erde, wo es optimal konserviert wird.

«Auch bei der Aussichtsplattform gibt es eine solche Stelle, wo wir nur eine dünne Erdschicht abgetragen haben.» Allerdings liegen dort Gegenstände aus der viel späteren Pfahlbauerzeit. Ute Schnabel-Jung hätte natürlich auch diese Flächen gerne renaturiert, aber sie sei sehr zufrieden mit der Kompromisslösung, und so habe beides – Archäologie und Natur – nebeneinander Platz.

Der Mensch von heute und die Natur

«Es ist wichtig, dass wir den Besucherinnen und Besuchern zeigen, was hier entsteht und warum diese Landschaft wertvoll ist», sagt Schnabel-Jung. Wenn man schon eine so grosse Renaturierung mache, dann müsse man den Menschen auch erklären, warum man das mache. Für Ute Schnabel-Jung gibt es nicht entweder die Natur oder den Menschen. «Es ist immer ein Miteinander, und das möchten wir auch hier erreichen.»

Der naturemade star-Fonds von ewz

Jährlich kommen dank Ökostromkundinnen und -kunden von ewz rund CHF 4 Mio. für ökologische Verbesserungsmassnahmen zusammen. Insgesamt unterstützte der Fonds von ewz bisher Projekte und Massnahmen mit über CHF 28 Mio.

Das Label «naturemade star» steht für besonders umweltschonend produzierte Energie, die zu 100 Prozent aus erneuerbaren Quellen stammen muss. Zu diesen gehören Wasser, Wind, Sonne und Biomasse. Von grosser Bedeutung sind der Schutz und die Aufwertung der Umgebung von Wasserkraftwerken und das Erhalten und Fördern von Biodiversität. Verliehen wird das Label vom Verein für umweltgerechte Energie VUE, unterstützt wird es unter anderem vom schweizerischen Konsumentenforum, vom WWF und von Pronatura.

Inspiriert? Als Privatperson, Schulklasse oder Verein kann man beim naturemade star-Fonds von ewz einen Förderantrag stellen, um einen Dorfbach oder ein anderes Gewässer zu renaturieren.

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