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Heimische Tierwelt im Klimawandel

Der Klimawandel wirbelt unsere Ökosysteme spürbar durcheinander. Allbekannte Arten könnten verschwinden. Doch es gibt auch ‹Gewinner›.
Klimawandel, Gastbeitrag von NATIONAL GEOGRAPHIC, 20.11.2020

Schon in wenigen Jahrzehnten könnte weltweit jede zweite Tier- und Pflanzenart ausgelöscht sein. Ein solch düsteres Szenario hält die Naturschutzorganisation WWF in ihrer aktuellen Klimastudie für realistisch, sollte sich die globale Durchschnittstemperatur um 4,5 Grad erhöhen [siehe auch Artikel «In der Schweiz wird es 6 Grad wärmer«]. Selbst bei einem Anstieg um zwei Grad würde jede vierte Spezies dem Klimawandel zum Opfer fallen. „Die Zukunft der Biodiversität ist in unseren Händen“, unterstreicht Thomas Vellacott, CEO des WWF Schweiz. Hitzewellen, Unwetter, Gletscherschwund: Auch vor unserer eigenen Haustür macht der Klimawandel nicht halt.

Nach den Erkenntnissen des Deutschen Wetterdienstes zeigten sich in den letzten 40 Jahren zunehmend Sommer mit deutlich höheren Temperaturen und längeren Hitzewellen als zuvor. Am heißesten war es in Deutschland in den Jahren 2003, 2018 und 2019. Schweizer und Österreicher erlebten die wärmsten Sommer 2003, 2015 und 2019. Die eidgenössischen Wetterexperten von MeteoSchweiz werten die Häufung extrem warmer Sommer als „eines der klaren Signale der laufenden Klimaänderung“. Vor allem kälteliebenden Arten macht dieser Wandel zu schaffen.

Vier Gämse stehen auf Felsen, die mit grünen Flechten überwachsen sind.

Alpenbewohner fliehen in höhere Lagen

Schon vor gut zehn Jahren sorgte eine Studie über den teils dramatischen Rückgang der Bachforelle in den Schweizer Fließgewässern für Aufsehen. Die sensible Fischart braucht kühle, sauerstoffreiche Gewässer. Nicht nur Lebensraumverlust und Gewässerverschmutzung, sondern auch die steigenden Wassertemperaturen setzen ihr zu. Ursprünglich nahezu überall im Alpenraum zu finden, droht die Bachforelle immer seltener zu werden. So sind die dokumentierten Fangzahlen in der Schweiz allein in den letzten zehn Jahren um ein Drittel gesunken. In diesem Jahr wurde die Forelle in der Alpenrepublik zum Fisch des Jahres gekürt.

Biologen rechnen damit, dass sich nicht nur der Lebensraum empfindlicher Fischarten auf lange Sicht zunehmend in höhere Regionen verschieben wird. Auch alpine Huftiere wie Steinbock und Gämse zieht es weiter nach oben, wie aus einem aktuellen Fachbeitrag der Naturwissenschaftlichen Rundschau hervorgeht. Ein ähnliches Schicksal droht vielen anderen kältebedürftigen Tieren und Pflanzen der Bergregionen. Ob Alpensalamander, Schneehuhn oder Enzian: Ihr angestammter Lebensraum schrumpft im Zuge der Erderwärmung.

Doch nicht nur die sensiblen Alpenbewohner sind betroffen. Bis zu 30 Prozent der bislang heimischen Tier- und Pflanzenarten könnten in den nächsten Jahrzehnten allein aus Deutschland verschwunden sein, warnt das Bundesamt für Naturschutz (BfN) in seinem Artenschutzreport. Einst allgegenwärtige Arten wie der Kuckuck zögen sich schon seit einigen Jahren in kühlere Regionen zurück. Der Schweizerische Forstverein sieht das genauso: Klimaverlierer seien meist die kälteliebenden Spezialisten. Sie gerieten zunehmend in die „Gipfelfalle“.

Bild eines Alpenschneehuhns. Es ist nur der Kopf sichtbar.
Der Lebensraum schrumpft: Das Alpenschneehuhn zieht sich immer weiter in höhere Lagen zurück.
Ein Gämse sitzt im Schnee in bergigem Gelände.
Nahaufnahme von zwei Enzian auf einer Bergwiese.
Ein Steinbock in bergigem Gelände blickt den Fotografen direkt an.

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Besonders anfällig für den Klimawandel

Der Kuckuck steht beispielhaft für die fragilen Lebensgemeinschaften im Tier- und Pflanzenreich, die durch klimatische Veränderungen rasch empfindlich gestört werden. Als Langstrecken-Zugvogel kehrt er erst Mitte April aus seinem Winterquartier zurück. Weil aber typische Wirtsvögel wie der Teichrohrsänger, in dessen Nester der Kuckuck seine Eier legt, wegen der nun wärmeren Frühjahre eher zu brüten beginnen, wird es für den Brutparasiten immer schwieriger, noch Nester mit Eiern zu finden.

Zugvögel sind besonders anfällig für den Klimawandel, weil sie auf intakte Verhältnisse am Brutplatz, in Rastgebieten und im Überwinterungsgebiet angewiesen sind“, erklärt Sebastian Kolberg, Referent für Artenschutz beim Naturschutzbund Deutschland. „Schneller Wandel wie der derzeitige Klimawandel bedeutet vor allem für Spezialisten, die sich zum Teil über lange Zeit an besondere und damit auch seltenere Lebensräume angepasst haben, ein Problem. Leiden diese Lebensräume unter dem Klimawandel, so betrifft das eben auch die Art.“

Gerade am Zustand der gut erforschten Vogelwelt lasse sich ablesen, wie sich die Klimaveränderungen auf Flora und Fauna auswirken, betont BirdLife Schweiz. Die Zürcher Vogelschutzorganisation geht davon aus, dass mehr als zwei Drittel aller europäischen Vogelarten zu den Verlierern gehören werden.

Heimische Säugetiere scheinen weniger Probleme mit dem Klimawandel zu haben. Dennoch zieht sich das Dilemma wie ein Domino-Effekt durch die Ökosysteme: Wandelt sich das Klima, ändern sich die Nahrungsbeziehungen, Verhaltensmuster und Fortpflanzungszyklen. Tiere und Pflanzen siedeln sich in neuen Verbreitungsgebieten an, heimische Arten müssen mit eingewanderten Arten konkurrieren.

Viele Schmetterlingsarten und zahlreiche andere Insekten etwa sind auf bestimmte Futterpflanzen angewiesen. Hochspezialisierten Amphibien wie dem Moorforsch drohen im regenarmen Frühjahr die Laichgewässer auszutrocknen. „Brotfischen“ wie Kabeljau und Hering werden die Gewässer vor der deutschen Küste zu warm.

Zwei gelbe Schmetterlinge sitzen auf einer weissen Wiesenblume.
Eine Blauschwarze Holzbiene sitzt auf einer gelben Blüte.
Die Blauschwarze Holzbiene ist eine der häufigsten Bienenarten im Mittelmeerraum. Inzwischen besiedelt sie auch Norddeutschland.
Ein blauer und ein brauner Moorfrosch im Wasser.
Hochspezialisierte Arten sind besonders gefährdet: Dem Moorforsch drohen im regenarmen Frühjahr die Laichgewässer auszutrocknen.

Goldschakal und andere Neubürger auf dem Vormarsch

Doch es gibt nicht nur Verlierer: Einige Singvogelarten wie Zaunkönig oder Zilpzalp profitieren von milden Wintern mit einem ausreichenden Nahrungsangebot an Insekten. Fischjägern wie dem Eisvogel kommen unvereiste Gewässer gelegen. Zu den ‹Gewinnern› zählt auch der Borkenkäfer. Die trockenen Sommer haben vor allem die Fichtenbestände stark geschwächt, so dass sich das gefräßige Insekt explosionsartig vermehren konnte und den Wäldern derzeit schwere Schäden zufügt.

Ebenso berüchtigt ist der Eichenprozessionsspinner. Begünstigt durch milde Temperaturen, breitet sich der unscheinbare Nachtfalter seit Jahren weiter aus. Die Brennhaare der Raupen verursachen heftige allergische Reaktionen. Zu seinen wenigen natürlichen Feinden zählt ausgerechnet der Kuckuck.

Grundsätzlich beobachten Biologen, wie sich wärmeliebende Arten immer weiter nördlich ansiedeln – darunter so markante Vogelarten wie Bienenfresser und Wiedehopf oder Insekten wie Gottesanbeterin und Blauschwarze Holzbiene.

Sogar ein Raubtier aus südlichen Gefilden scheint sich neuerdings in Deutschland, Österreich und in der Schweiz wohlzufühlen: der wolfsähnliche Goldschakal. Schneearme Winter und trockenheiße Sommer bieten ihm gute Bedingungen. Auch wenn die Gründe seiner Ausbreitung vielfältig seien: „Der Goldschakal profitiert von der Klimaerwärmung“, sagt Florin Kunz von der Raubtier-Forschungsstelle Kora mit Sitz in Muri bei Bern. Es wird sich zeigen, welche Arten und wie die Tierwelt im Klimawandel bestehen kann.

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